Was notwendig ist IV

Bevor du weiter liest: Kennst du schon den Grund für unsere Plakataktion? Du findest unsere Stellungnahme hier und unsere ausgeführten Forderungen zu den ersten drei Plakaten hier, hier und hier.

Aufklärung, nicht Humankapital

Die Forderung, Universitäten (und alle anderen wissensproduzierenden Institutionen) ausschließlich an der Vorstellung der Aufklärung auszurichten scheint obsolet, da dies ja ohnehin das vermeintliche Selbstverständnis der Universität zu sein scheint. Warum die Forderung aber alles andere überflüssig ist, wird deutlich, wenn der Begriff der Aufklärung kritisch untersucht wird, anstatt ihn als bloße Worthülse zur Machtlegitimation zu verwenden. Aufklärung als ein Projekt zur Emanzipation des Menschen, zur Ermöglichung des eigenständigen kritischen Denkens muss selbstverständlich eine Kritik des Bestehenden enthalten (denn worin bestünde sonst die Emanzipation?), eine Kritik traditioneller Denkweisen und Autoritäten. Aber eben auch eine Kritik von gesellschaftlichen Verhältnissen, die diese Denkweisen und Autoritäten ermöglichen.

Wie ist aber diese Vorstellung von aufklärerischem Denken mit den gängigen Praxen der Hochschul- und Bildungspolitik zu vereinen? Kurz: überhaupt nicht. Denn, sofern die Aufgabe von Bildung überhaupt noch in Aufklärung begründet wird, wird ein unkritischer Begriff davon verwendet. Und das nicht nur von Berufspolitiker_innen in den zuständigen Ministerien, auch von vielen Verantwortlichen an Universitäten. Wenn also die aktuelle Wirtschaftsministerin davon spricht, dass Gymnasien oft am Markt vorbei produzierten (siehe hier), braucht nicht mehr im Detail ausgeführt zu werden, welche Vorstellung von Aufklärung und Wissen dahinterstehen. Es geht um wirtschaftlich verwertbares, technisches (Produktions-)Wissen, nicht um kritische Denkfähigkeit im Sinne der Emanzipation.

Was hat das jetzt aber mit der Uni zu tun? Die Argumentation der Wirtschaftsministerin ist offensichtlich der Humankapitaltheorie entlehnt und kommt damit ganz unmittelbar aus dem wissenschaftlichen Mainstream der VWL. Ein gängiges Argumentationsmuster zur Relativierung der Verflechtung unkritischer Wissenschaft und (konservativer) Politik ist, dass die Wissenschaft ja nur anwendbare Theorien entwickelt, die u.U. von Praktiker_innen lediglich falsch angewandt werden (bzw. die falschen Theorien/Modelle ausgewählt wurden) oder zu vereinfacht – demnach müssten die Theorien/Modelle auch um andere ergänzt werden. Damit wird gesellschaftliche Entwicklung (bwz. Versagen) aus dem akademischen Betrieb und letztendlich aus der Aufklärung verbannt. Wissenschafter_innen haben demnach nur die Funktion von neutralen Berater_innen. Politiker_innen (oder andere Akteur_innen) müssten sich eben aus dem breiten Menü an wissenschaftlichen Theorien eben welche heraussuchen, die ihrer Sache dienlich sind. Wenn sie was kritisches umsetzen wollen, müssen sie sich halt auch an Versatzstücke kritischer Forschungszweige als Ergänzung bedienen.

Diese intellektuelle Arbeitsteilung – bisschen kritisch, bisschen was konformistisches – kann aber nicht funktionieren. Wissenschaft ist entweder kritisch, oder sie ist es nicht. Kritische Wissenschaft hat als Objekt ihrer Kritik auch oft gerade dieses unkritische Wissen konformistischer Wissenschaft, Komplementarität ist hier also keine Option.

Aufklärung heißt Herrschaftskritik

Um an das anzuschlißen, was weiter oben gesagt wurde: Konformistische Wissenschaft baut auf einem unvollendeten Begriff der Aufklärung auf, einem der sich mit den Verhältnissen arrangiert hat. Kritische Wissenschaft hat genau diese Verhältnisse zur Kritik, genauso wie jene Denktraditionen, die diese Verhältnisse aufgrund fehlenden kritischen Selbstverständnisses nicht infrage stellen können.

Die Herrschaftsförmigkeit der Gesellschaft zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen, bedeutet notwendigerweise Herrschaftskritik als zentrales Element von Aufklärung zu verstehen. Diese Kritik gibt sich nicht neutral, ihr Ziel ist nicht lediglich ein von außen erlangtes Wissen über einen unveränderbaren Gegenstand zu produzieren. Ihr Ziel ist die Formulierung einer Kritik ihres Erkenntnisobjekts, die dessen Überwindung ermöglichen soll. Sie ist also in ihrer Praxis darauf aus, Herrschaft abzuschaffen und sich damit letztendlich selbst aufzuheben.

…das Humankapital und Herrschaft

Was kann also über Theorien wie die Humankapitaltheorie gesagt werden? Wenn sie lediglich zu beschreiben versucht, nach welchen Kriterien Individuen welchen Bildungsweg wählen, macht sie das indem sie die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse unhinterfragt hinnimmt. Sie fragt nicht, welche Zwänge Individuen erst zu gewissen Entscheidungen nötigen. Dass Menschen zwecks ihrer Existenzsicherung zu allen anderen in Konkurrenz stehen, wird aus Motiven des Eigeninteresses abgeleitet, anstatt die Frage zu stellen, welche gesellschaftliche Strukturen dieses Konkurrenzverhältnis produzieren. Anstatt also das dominante Organisationsprinzip der modernen Epoche (Konkurrenz) als historisch wandelbar und herrschaftsförmig und damit kritikwürdig zu verstehen, wird es vielmehr ahistorisch ausgelegt. Mehr noch, es wird auf dem höchsten Aggregationsniveau als vorteilhaft konzipiert (Wohlfahrtstheoreme der Mikroökonomie – auf Abweichungen vom Konzept der allgemeinen Gleichgewichtstheorie wird an dieser Stelle nicht eingegangen).

Humankapitaltheorien (oder auch Neoklassik im Allgemeinen) haben demnach eine wesentliche ideologische (im Sinne von herrschaftsabsichernde) Komponente. Denn sie liefert die intellektuellen Legitimationen für das Funktionieren und Ausweiten der bestehenden Verhältnisse.