Was notwendig ist III

Bevor du weiter liest: Kennst du schon den Grund für unsere Plakataktion? Du findest unsere Stellungnahme hier und unsere ausgeführten Forderungen zu den ersten  beiden Plakaten hier bzw. hier.

Monotheismus Neoklassik

Polit-Ökonomische Phänomene sind komplex. Wachstum und die es bedingenden Zwänge, das Funktionieren von Märkten und die zu deren Existenz notwendigen Bedingungen, geschlechterspezifische Arbeitsteilung im Kapitalismus oder Krisen sind nur einige Beispiele, denen sich Ökonom_innen widmen können. Diese Phänomene sind allesamt vielschichtig und ihre Dynamiken entziehen sich unserer Erkenntnis, wenn wir nur Fragen zulassen, die einzig einer bestimmten Methodik zugänglich sind. Wenn wir also Ökonomie und Gesellschaft lediglich als das ungeplante Resultat eigennützigen und rationalen (oder weniger rationalen im Falle der Verhaltensökonomie) Handelns verstehen, ignorieren wir gesellschaftliche Strukturen, die eine eigenständige Wirkmächtigkeit besitzen können. Denn selbstverständlich gibt es gesellschaftliche Strukturen, die wir erst einmal vorfinden und die den Rahmen für Handlungen abstecken. Das heißt aber nicht, dass wir diese Strukturen einzig in der Form von Nebenbedingungen analysieren, sondern diese explizit zum Untersuchungsgegenstand machen können.

Um das an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen:
Die neoklassische Modellierung von Arbeitsmärkten versteht diese als notwendige Erscheinung, die aus dem grundsätzlichen Konflikt in den individuellen Präferenzen zwischen Freizeit und Güterkonsum resultiert. Dabei nimmt sie nicht nur die Existenz solcher Arbeitsmärkte unkritisch als gegeben hin, sondern verabsolutiert sie sogar über Raum und Zeit. Arbeitsmärkte gab es (in dieser ahistorischen Form) demnach eben immer schon. Auch zu Zeiten von Leibeigenschaft oder Sklaverei als dominantem Produktionsprinzip. Es ist offensichtlich, dass Sklav_innen und Leibeigene nicht vor dem Entscheidungsproblem standen, wie viel Arbeit sie am Arbeitsmarkt verkaufen sollen und wie viel Freizeit sie konsumieren sollen. Ebenso klar ist aber auch, dass kapitalistische Märkte nicht ohne Zwänge (und Sozialisationsprozesse) funktionieren können. Der grundlegendste Zwang ist natürlich die Trennung jeglicher zur Subsistenz notwendigen Produktionsmittel der Arbeiter_innen, die das Überleben erst von Lohnarbeit abhängig macht. Die besonderen Eigentumsverhältnisse im Kapitalismus entfalten also eine eigene Dynamik, die nicht rein auf das Zusammenspiel von rationalen Entscheidungsprozessen von Individuen zurückzuführen sind.

Ein anderes Beispiel wären gesellschaftlich produzierte Geschlechterkategorien, die Geschlechtern gewisse Verhaltensmuster zuweisen und Individuen dementsprechend sozialisieren. Geschlechterunterschiede (wie den gender wage gap z.B.) dann auf vermeintlich natürliche Differenzen in Präferenzen zu reduzieren (bzw. auf der Theorie exogene Phänomene wie Diskriminierung auszulagern), würde demnach (immer auch) sozial bedingte Präferenzen verneinen und die Notwendigkeit von nicht entlohnter Reproduktionsarbeit für das Funktionieren der Gesellschaft ignorieren (und das zu erklärende Phänomen – Geschlechterdiskriminierung – unerklärt lassen).

In anderen Fällen kann es schlicht nicht von Bedeutung sein, ob oder wie gewisse ökonomische Größen aus individuellen Präferenzen zu erklären sind. Wenn es so etwas wie eine durchschnittliche Sparquote gibt, und der Erklärungsversuch darin besteht, das Verhältnis von Sparen und Investitionen zu benennen, ist nicht klar, warum eine Mikrofundierung dieses Phänomens überhaupt notwendig ist. Abgesehen davon, dass das im Rahmen der Neoklassik ohnehin nur alibi-mäßig gemacht wird. Denn es wird schlicht ein “repräsentativer Konsument” herangezogen, der vermeintlich die aggregierten Präferenzen der Gesellschaft darstellt. Es ist aber eben aus der neoklassischen Mikroökonomie selbst wohl bekannt, dass Präferenzen mitnichten ohne weiteres sinnvoll aggregiert werden können (sofern sie überhaupt für einzelne Individuen sinnvoll sind) – die Existenz eines solchen “repräsentativen Konsumenten” ist also selbst innerhalb der Neoklassik überhaupt nicht gerechtfertigt.

Dass diese Phänomene (und viele andere) mittels der Neoklassik nicht adäquat erfasst werden können, liegt vermutlich zum Teil daran, dass diese einen universalistischen Methodenanspruch hat. Demnach gibt es die eine Methode (bzw. geringfügig verschiedene Varianten davon) und der Untersuchungsgegenstand hat sich dieser zu fügen. Alles was nicht ins Schema passt und dieser Methode nicht zugänglich ist, ist vermeintlich unwissenschaftlich. Statt also kritisch zu reflektieren, welche Methoden für welchen Gegenstand angemessen sind und die Methode dem Gegenstand anzupassen, wird das genaue Gegenteil gemacht. Der systemische Ausschluss jeglicher konkurrierender wissenschaftlicher Ansätze aus der akademischen Volkswirtschaftslehre, ist nicht vernünftig zu rechtfertigen. Und das mehr oder weniger unabhängig von der zugrundeliegenden wissenschaftsphilosophischen Position. Denn selbst im Positivismus wäre ein Wettstreit unterschiedlicher Theorien erwünscht, um daraus die vermeintlich beste ausmachen zu können. Wenn im Titel die Neoklassik also als Monotheismus bezeichnet wird, ist das nicht nur eine Provokation, sondern eben auch Ausdruck einer nicht rational begründbaren, sondern auf Glaubenssätzen basierenden geistigen Monokultur im akademischen Mainstream.

Es besteht natürlich auch noch die Möglichkeit, dass Neoklassiker_innen durchaus wissenschaftstheoretisch die Überlegenheit ihrer Theorien gegenüber allen anderen begründen können und der oben gemachte Vorwurf unhaltbar ist. Die Frage wäre dann aber, warum sie Studierende nicht daran teilhaben lassen? Demnach wäre ja eine philosophische Reflexion der Neoklassik kein Problem, genauso wenig wie die Kontrastierung mit anderen wissenschaftlichen Strömungen und die vermeintliche Dominanz wäre einfach zu demonstrieren…

Wider der Methodenverengung

Unsere Forderung ist also die Etablierung einer pluralistischen Lehre, es muss möglich sein, sich innerhalb eines VWL-Studiums unterschiedliche Zugänge anzueignen. Gleichzeitig muss es aber auch Lehrveranstaltungen geben, die sich mit Wissenschaftstheorie auseinandersetzen, um der Frage nachgehen zu können, was wir von einer wissenschaftlichen Theorie überhaupt erwarten können/sollen. Diskussion unterschiedlicher Methoden und Zugänge sowie philosophische Reflexionen darüber finden sich in Curricula fast aller sozialwissenschaftlicher Studien. Auch hier macht die VWL einmal mehr eine traurige Ausnahme.

Konkret fordern wir:

– (Mehr) Lehrveranstaltungen in:

  • Marxistischer Ökonomie
  • (Post-)Keynesianischer Ökonomie
  • Feministischer Ökonomie
  • Ökonomie der Österreichischen Schule
  • Wissenschaftstheorie und Wissenschaftskritik
  • Geschichte ökonomischer Theorien

– Die nächste Professur muss ein breites Verständnis in diesen Bereichen haben und sollte für den Themenbereich “Heterodoxe Ökonomie” ausgeschrieben werden.